Vom Archiv- zum Redaktionssystem: Die Drehscheibe für kreative Inhalte
Das folgende Referat habe ich am 5. Mai 2015 bei der Frühjahrstagung des Vereins für Medieninformation und Mediendokumentation (vfm) in Bremen gehalten, zum Thema “Vom Archiv- zum Redaktionssystem” beim Presse-Panel (etwas überarbeitet, entspricht nicht dem genauen Wortlaut). Die anderen beiden Redner waren Christian Wagner, Geschäftsführender Redakteur beim WESER-KURIER (der unser DC-X einsetzt) und André Maerz, Projektleiter bei der Neuen Zürcher Zeitung (HUGO-Anwender). Moderiert hat Jutta Heselmann vom WDR.
Ich arbeite als Software-Architekt bei DC (“DC” ist die bei uns übliche Abkürzung für Digital Collections). Ich bin übrigens kein Informatiker, sondern gelernter Dokumentar; deshalb freue ich mich besonders, heute hier sein zu können.
Ich werde erst kurz erzählen, wie wir vom Archiv- zum Redaktionssystem gekommen sind. Und dann etwas über die Drehscheibe für kreative Inhalte sagen.
Vielen Dank an meinen Vorredner Christian Wagner für die Schilderung, wie noch vor zwanzig Jahren beim WESER-KURIER Zeitungen produziert wurden. Das habe ich so nicht mehr zu sehen bekommen.
Die Firma DC wurde 1991 gegründet. Unsere Firmengründer haben Verlagen bei der Einführung von Redaktionssystemen geholfen. Sie waren begeistert von den neuen Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung boten – und wollten digitale Publikationen verlegen. Die Vision damals: “Das Wissen der Welt in Lichtgeschwindigkeit zur Verfügung stellen.”
Das “Wissen der Welt” war etwas hoch gegriffen. Aber wir konnten aus dem Redaktionssystem Daten abzweigen und sie weiter verteilen, noch bevor der Druck begonnen hatte. Lichtgeschwindigkeit war es natürlich nicht, sondern eine ISDN-Leitung für die Datenfernübertragung, aber wir waren doch um Längen schneller als die analoge Welt mit Druck und Versand.
Der Verleger Hubert Burda war fasziniert, den FOCUS so vorab digital lesen zu können. Unsere Firmengründer haben die Empfangstechnik persönlich in seinem Büro aufgestellt. So wurde der FOCUS eines der ersten digitalen Verlagsprodukte weltweit und unser erster Kunde.
Zum schnellen Bereitstellen von Informationen gehörte neben der Datenfernübertragung auch eine Suchfunktion. Volltextsuche war damals etwas Besonderes. Bei DC wurde extra eine eigene Volltextsuchmaschine entwickelt. Das DC-Suchformular sah so ähnlich aus wie Google heute: ein Suchfeld, dann die Trefferliste. (Später haben die Archivare bei unseren Kunden daraus ein riesiges Suchformular mit oft einem Dutzend Eingabefeldern gemacht, was ihnen geholfen, normale Anwender aber eher abgeschreckt hat. Mittlerweile sind wir fast wieder beim Google-Layout.)
Die Suchfunktion fand die Deutsche Presseagentur dpa spannend, sie wurde ein wichtiger Kunde. Unser DC3 wurde eines der ersten Systeme weltweit, mit denen Agenturmeldungen und -bilder digital empfangen und durchsucht werden konnten. Verlage in der ganzen Welt kauften DC-Systeme.
Ein Archivsystem wollten wir eigentlich nicht bauen. Aber die Daten, die von Nachrichtenagenturen und aus dem Redaktionssystem in die DC3-Datenbank strömten, führten fast von allein zu einem digitalen und komfortabel durchsuchbaren Archiv – mit alten und neuen Bildern, Meldungen, Artikeln, Anzeigen und Ganzseiten. Für den Import und Export dieser Daten mussten wir jede Menge Formate unterstützen und Schnittstellen zu anderen Systemen bieten. Das ist bis heute das Typische an einem DC-System. Unsere Kunden nennen ihr DC-System gern neudeutsch “Content Hub”, die Drehscheibe für kreative Inhalte.
Das Redaktionssystem, in dem die Inhalte erfasst werden, war aus unserer Perspektive der “Platzhirsch” im Verlag – lebenswichtig, aber oft auch teuer, komplex und eng verwoben mit den Eigenheiten der analogen Print-Welt.
Nach und nach änderte sich dieses Bild durch den Siegeszug von WWW, Social Media und Apps: Das Endprodukt redaktioneller Arbeit ist nicht mehr der gedruckte Artikel, sondern eine Story, die zu verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlichen Kanälen veröffentlicht wird, meist durch verschiedene Systeme. Und bei der Unterstützung von Formaten und Schnittstellen ist DC oft besser aufgestellt als das Redaktionssystem.
Wenn ein Redaktionssystem abgelöst werden sollte (oder gar keins vorhanden war), stellte sich uns manchmal die Frage, ob man nicht direkt im DC-System einen Artikel schreiben könne. Warum eigentlich nicht? Die Strukturen und Schnittstellen sind vorhanden. Nur die Print-spezifischen Layout- und anderen Anforderungen konnten wir nicht abdecken. Mit ppi Media haben wir einen Partner gefunden, der die Anbindung an InDesign und Planungssysteme übernommen hat.
Die Kombination nennt sich Content-X und ist bewusst einfach gehalten – ein ziemlich schlankes und eher günstiges Redaktionssystem, mit dem schon einige Kunden täglich ihre Zeitung produzieren.
Wir haben unser Digital Asset Management-System also um die Erstellung von Inhalten erweitert. Anbieter von Redaktionssystemen sind den umgekehrten Weg gegangen und haben ihre Software um Archiv, Agentureingänge und Anbindung von anderen Kanälen erweitert.
Eine zentrale Drehscheibe für alle kreativen Inhalte macht ganz offensichtlich Sinn, auch für unsere Mitbewerber. Dafür brauchen Sie nicht unbedingt ein DC-System. (Und Sie müssen auch nicht zwingend Redaktionssystem und “Content Hub” verschmelzen, auch wenn das heute unser Thema ist. Hauptsache, die beiden Komponenten arbeiten gut zusammen.) Ich möchte aber Werbung machen für das Prinzip des “Content Hub”, der Drehscheibe für Inhalte: Suche, Distribution und Zweitverwertung werden einfacher, und Sie können Rechte und Kosten zentral verwalten.
So ein “Content Hub” braucht auf der Software-Seite vor allem: 1) Saubere Datenstrukturen, und als Voraussetzung dafür Software, mit der sich die für Sie wesentlichen Daten gut abbilden lassen. (WordPress wäre die falsche Software für ein Zeitungsarchiv, das Datenmodell gibt das nicht her.)
2) Performance: Achten Sie auf Systeme, die mit Ihrer Datenmenge und Nutzeranzahl zurecht kommen. Sie möchten keine zentrale Drehscheibe einführen, die dann alles andere ausbremst.
3) Schnittstellen sind das A und O. Sie brauchen jemanden, der Schnittstellen für Sie neu programmieren und anpassen kann. Das kann der Anbieter, ein Partner oder IT-Personal in Ihrem Unternehmen sein. Ihre “Content Hub”-Software muss auch fertige APIs anbieten.
4) Flexibilität: Ausgabekanäle und Abläufe verändern sich immer wieder. Flexible Software ist wichtig, damit sich das System schnell an geänderte Anforderungen anpassen lässt.
Wenn man die zentrale Sicht auf Inhalte eingeführt hat, eröffnen sich über die oben genannten offensichtlichen Vorteile hinaus weitere spannende Möglichkeiten:
Wie wäre es, wenn Sie beim Schreiben eines Textes automatisch passende Artikel aus Ihrem eigenen Archiv und aus anderen Quellen angeboten bekommen? Gestern gab es auf dieser Tagung ein sehr schönes Zitat von Eckhardt John dazu: “Holt die Archive in die Mitte, besser an den Anfang des Produktionsprozesses.” Nicht nur Archivinhalte lassen sich verknüpfen, sondern auch Inhalte, die andere gerade erstellen, vielleicht für einen anderen Kanal oder ein verwandtes Thema.
Auch eine thematische und regionale Einordnung schon während der Produktion kann Mehrwert für Ihre Kunden generieren, z.B. in Form von Themenseiten.
Ich glaube nicht an künstliche Intelligenz, aber daran, dass man mit Software die Hebelwirkung menschlicher intellektueller Anstrengung vergrößern kann. Wir haben vor mehr als zehn Jahren gemeinsam mit der Firma ARCUS aus hunderttausenden manuell verschlagworteten Artikeln eine Wissensbasis errechnet, die für neue Artikel recht gut eine passende Verschlagwortung vorschlagen kann. Das Stichwort “Big Data” ist ja gerade in Mode. Solche Algorithmen sinnvoll zu nutzen und kontinuierlich zu justieren, gehört für mich zu den Aufgaben eines Dokumentars.
Ich habe vorhin bewusst nicht “ein zentrales System für Inhalte” gesagt, sondern “eine zentrale Sicht auf Inhalte”: Sie können niemals alle interessanten Fremdinhalte in Ihr System kopieren. Und Sie möchten Ihre Inhalte mit Informationen anreichern, die in anders strukturierte Systeme gehören, z.B. aus Ihrer Kunden- oder Sportdatenbank. Die Zukunft gehört meiner Meinung nach Linked Data; Ihr System wird irgendwann zu einer Suchmaschine werden, die Zugriff auf viele verschiedene Quellen hat. Das Vernetzen und Zusammenführen dieser Quellen ist ebenfalls eine dokumentarische Tätigkeit.
Wenn alles gut klappt, bekommen Sie von Ihren Software-Lieferanten ein “Schweizer Taschenmesser”, das Ihnen mit vielen guten Werkzeugen immer neue Möglichkeiten eröffnet. Jetzt bin ich gespannt auf Ihre Erfahrungen und den nächsten Referenten. Vielen Dank!
Nachtrag: Siehe auch meine Blog-Beiträge Dreaming of a shared content store, Web of information vs DAM, DM, CM, KM silos, Texte und Bilder elegant austauschen zwischen Redaktionen und Nachrichtenagenturen, Software für Journalismus – zwei Ideen vor dem scoopcamp 2013.